Entfernte Bestimmung

Es ist Herbst. Am leeren Strand steht eine geöffnete Schreibmaschine. Wellen hatten sie überspült, auch Sand in das Tastenwerk geschwemmt; danach hatte ihr Besitzer sie, als er sich aus dem Urlaub wieder entfernte, als unbrauchbar zurückgelassen.

Es ist eine Schreibmaschine, welche sich untrüglich klar aller Texte erinnert, die je auf ihr geschrieben wurden; sie nimmt an, das sei Grund genug, eine Verständigung mit anderen Schreibmaschinen in der Welt zu suchen. Einige Umstände scheinen dafür günstig. Ein unbenutztes Blatt weißen Papiers flattert durch die Luft und bleibt in geringem Abstand liegen. Die ausgetrocknete Rotweinflasche, zur Hälfte schräg in den Sand gesteckt, könnte vielleicht dazu bestimmt werden, als Flaschenpost auf die Reise zu gehen. Allein, wer soll die Tasten der Maschine so wie erforderlich niederdrücken, damit sich auf dem Papier die Botschaft abzeichne, die sie im Sinn hat? Es geht auf Kälte und rauhes Sturmwesen zu, daher sind Menschen oder geeignete Tiere an diesem Strand vorerst nicht mehr zu erwarten. Die Möwen, auch die Fische im Meer, erfüllen, mangels entsprechender Extremitäten, die Voraussetzung nicht, um behilflich zu sein.

Zwar stürzen nun aus grauen Wolkenschwärmen Myriaden von Regentropfen, zeitweilig sinken auch schon Schneeflocken herab; doch sind beide ja zu ungewichtiger Natur, als daß sie der Aufgabe zu genügen vermöchten.

Eines letzten, noch einmal wärmeren Nachmittags jedoch jagt eine riesige Hagelwolke über den Horizont herauf. Unaufhaltsam schwärzt sie in eisiger Höhe auch den noch verbliebenen Himmel. Dieser Wolke vertraut die Schreibmaschine ihren Wunsch an.

Die Wolke entläßt ein Geschütt glatter, weißglänzender und steinharter Hagelkörner, die minutenlang auf die Tastatur und, natürlich, die Umgebung der Schreibmaschine niederprasseln. Doch erzielen sie keine sinnvollen Wörter und Sätze auf dem Papier. Nur ein wirres, undeutbares, also nutzloses Hagelmuster ist entstanden. Das kann niemanden verwundern, der sich vor Augen hält, daß die Wolke in diesem Augenblick zum ersten Male versucht hatte, eine Schreibmaschine zu bedienen.

"Wir müssen nur noch ein wenig zusammen üben, dann wird es wunderbar gehen!", ruft diese aufmunternd hinauf; jedoch ist ihr anzumerken, welche Mühe sie hat, selbst daran zu glauben. Zu offenkundig war der erste Versuch ein vollkommener Fehlschlag.

Aber zum Üben gebricht es der Hagelwolke ohnehin an Zeit, und nicht allein an Zeit. Also bauscht sie sich nur an einem ihrer düsteren Ränder in einem jähen Wirbel auf, (was als Kundgabe von Unmut und Abschütteln der Belästigung unmißverständlich ist) und hetzt, ohne weiteres, nach Nordosten davon. Es ist tiefer Herbst, die vorbezeichnete Zeit Mächtiger und einsamkeitverhängender Wolkenzüge; und sie wird längst über Ländern jenseits dieser Küste erwartet.

(c) Wilfried Schröder 1986